Adam von Trott als Akteur – Tarnung im Dienst des auswärtigen Amtes
1939
Am 1. September 1939 greift das nationalsozialistische Deutschland Polen an und entfesselt den Zweiten Weltkrieg in Europa.
Riskantes Doppelspiel
Aus China kehrt Adam von Trott Ende 1938 mit einem Entschluss nach Deutschland zurück. Er will dafür kämpfen, was er als richtig erkannt hat: den Sturz der NS Diktatur. Das Exil lehnt er ab. Auch als er 1939 noch einmal in die USA reist, steht die Rückkehr nach Deutschland für ihn fest.
Mit einer offiziellen Reise nach England im Juni 1939 beginnt Adam von Trott ein riskantes Doppelspiel: Getarnt als Emissär NS Deutschlands, gibt er sich vor der britischen Regierung als NS Gegner zu erkennen und spricht für die deutschen Regimegegner*innen. Um von innen heraus gegen die NS Diktatur zu kämpfen, entscheidet er sich Anfang April 1940, das Angebot einer Stelle im Auswärtigen Amt anzunehmen. Zu seiner Tarnung beantragt er nun auch die Aufnahme in die NSDAP, die unter Zuweisung der Mitgliedsnummer 8137231 erfolgt.
Über die Gefahr, in die er sich durch seine Aktionen begibt, macht er sich keine Illusionen.
London, 3. Juni 1939
Adam von Trott und sein Freund David Astor fahren zum Landsitz der Familie Astor nach Cliveden. Im Auftrag des Auswärtigen Amtes unternimmt Trott eine »Informationsreise«, um die britische Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland zu prüfen. In Cliveden führt Trott eine längere Unterredung mit dem britischen Außenminister Lord Halifax über die politische Situation in Europa. Halifax wiederum vermittelt ihm ein Treffen mit Premierminister Neville Chamberlain in London. Sein Bericht über die Gespräche in England landet auf Hitlers Schreibtisch.
1940
Juni 1940: Die Wehrmacht marschiert in Paris ein. In kürzester Zeit überrollt NS-Deutschland große Teile Europas.
Berlin, Kurfürstenstr. 137, 15. April 1940
Erster Arbeitstag für Adam von Trott in der »Informationsabteilung« des Auswärtigen Amtes. Die Abteilung ist zuständig für Beobachtung der »Feindpropaganda« und Einleitung von Maßnahmen der »Gegenpropaganda«. Sie unterrichtet andere NS-Dienststellen über die öffentliche Meinung im Ausland und versucht, sie im Sinne NS-Deutschlands zu beeinflussen. Die Arbeit erfolgt im Zweiten Weltkrieg zumeist über die neutralen Länder, vor allem die Schweiz, und macht Kontakte in Deutschland und ins Ausland notwendig.
Genf, September 1940
Adam von Trott beantragt im Auswärtigen Amt eine dienstliche Reise in die Schweiz. Es ist die erste von insgesamt elf Dienstreisen, die er in den nächsten Jahren in das kriegsneutrale Land macht. Aufgrund der Neutralität wird Genf zu einem Drehpunkt für sämtliche Geheimdienste. Trott trifft dort Willem Visser’t Hooft, einen niederländischen Theologen, den er bereits 1929 kennengelernt hatte. In dem Gespräch mit Visser’t Hooft, nun Generalsekretär des Weltkirchenrats, erläutert Trott die düstere Lage in NS-Deutschland.
1941
Am 22. Juni 1941 überfällt die Wehrmacht die Sowjetunion. Ein beispielloser Eroberungs- und rassistischer Vernichtungskrieg beginnt.
Berlin, Juni 1941
Trott übernimmt die Leitung des neueingerichteten »Sonderreferats Indien« im Auswärtigen Amt. Er betreut den indischen Exilpolitiker Subhash Chandra Bose, der in Nazi-Deutschland politische und militärische Unterstützung im Kampf gegen die britische Kolonialmacht sucht. Trott begleitet den Rivalen des Pazifisten Gandhi zu Unterredungen mit Adolf Hitler im »Führerhauptquartier Wolfschanze« und mit dem »Reichsführer SS« Heinrich Himmler sowie auf zahlreiche Reisen. Im Dezember 1942 fährt er zusammen mit Bose nach Den Haag für ein Treffen beim »Reichskommissariat für die besetzten niederländischen Gebiete«.
Berlin, 16. November 1941
Der Rechtsanwalt Helmuth James von Moltke schreibt an seine Frau Freya: »Mittags aß ich bei Trotts, und dann hatten wir allerhand zu besprechen (…) Vor was für riesigen Problemen stehen wir, und welcher Gigant soll sie lösen? Ist es denkbar, daß eine Gruppe von Durchschnittsmenschen das schafft?«
Moltke wird mit Kriegsbeginn für den militärischen Geheimdienst dienstverpflichtet. Im Dienst für den NS-Staat befasst sich Moltke auch mit Deportationen von Jüdinnen*Juden und Massenerschießungen in den von NS-Deutschland besetzten Gebieten Europas.
1942
Am 20. Januar 1942, der rassistische Massenmord findet längst statt, wird in der sog. Wannsee-Konferenz in Berlin die »Endlösung der europäischen Judenfrage« abgesprochen.
Schweiz, 17. März 1942
Adam von Trott fährt in die Kur nach Davos. Als seine Kieferhöhlenentzündung abklingt, reist er am 27. März weiter nach Genf. Sein Verbindungsmann Willem Visser t’Hooft hat ihm mitgeteilt, er plane eine Reise nach Großbritannien. Bei ihrem Treffen überreicht ihm Trott ein von ihm maßgeblich verfasstes Memorandum. Die Übergabe findet unter hohem Risiko statt, denn in Genf tummeln sich alle möglichen Geheimdienste und Spitzel.
1943/44
Seit dem Vormarsch der sowjetischen Roten Armee sowie der Landung alliierter Streitkräfte in Italien (1943) und Frankreich (1944) befindet sich die deutsche Wehrmacht auf dem Rückzug.
Stockholm, September 1942
Vom 22. bis 27. September 1942 reist Adam von Trott das erste Mal dienstlich nach Schweden. Hier treibt er in den nächsten zwei Jahren, neben der Schweiz, seine Kontakt- und Informationsarbeit voran. Insgesamt unternimmt er vier Schwedenreisen. Auf der Suche nach Solidarität trifft Trott Mitglieder der kirchlich-ökumenisch ausgerichteten Sigtuna-Gruppe, einer Kontaktstelle für deutsche Widerstandskämpfer, die vom Prinzip der Gleichberechtigung aller Nation geleitet ist.
Berlin, Hortensienstraße 50, Herbst 1942
Ehepaarabend bei Peter und Marion Yorck von Wartenburg. Häufig treffen sich Clarita und Adam von Trott, Barbara und Hans Bernd von Haeften abends bei den Yorcks in deren Reihenhaus nahe dem Berliner Botanischen Garten. Oft sind auch Helmuth von Moltke und Eugen Gerstenmaier dabei, die beide nach ihrer Ausbombung 1943/44 hier wohnen. Diese gemeinsamen Abende mit Gleichgesinnten sind ein Erlebnis tiefer Freundschaft im Wissen um die gemeinsame Haltung gegen das NS-Regime. Doch Zeit für zwanglose Gespräche gibt es kaum.
Berlin, Torgauer Straße, 1942
Auf Vermittlung eines Kollegen besucht Adam von Trott den Kohlenhändler Julius Leber und berät sich mit ihm wiederholt. Der Sozialdemokrat und Reichstagsabgeordnete Leber wird 1933 von den Nationalsozialisten verhaftet und kommt erst 1937 aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen frei. Nach seiner Entlassung verschaffen ihm Freunde eine Anstellung in einer Kohlenhandlung in Berlin-Schöneberg, die er 1939 übernimmt. Die Holzbaracke der Kohlenhandlung erweist sich als geeigneter Ort für unauffällige Kontaktaufnahmen und Treffen.
Kreisau, Schlesien, 14. Juni 1943
Mit Moltke und Yorck macht Adam von Trott einen langen Spaziergang über das schlesische Gut der Moltkes. Ihre Diskussion dreht sich um die zentrale Frage, wie Deutschland zukünftig politisch gestaltet werden soll. Es ist die dritte und letzte sog. Kreisauer Tagung. An Clarita von Trott schreibt Trott: »Ich bin recht tätig, aber nur teilweise mit mir zufrieden gewesen und im ganzen sehr der Beschenkte«.
Berlin, Mai 1943
Wegen der zunehmenden Luftangriffe auf Berlin zieht Clarita von Trott mit der einjährigen Tochter im Frühjahr 1943 nach Imshausen. In seinen zahlreichen Briefen lässt Adam sie an seinem Leben in der Hauptstadt teilhaben. Verstärkt ab Ende 1943 deuten einige Passagen seine Widerstandsarbeit an. Die Angst vor der Entdeckung macht einen offenen Austausch in den Briefen unmöglich.
Stockholm, 19. Juni 1944
Trott reist ein viertes und letztes Mal nach Schweden. Das neutrale Schweden ist ähnlich der Schweiz ein Operationsgebiet für die verschiedenen Geheimdienste, Diplomat*innen und Journalist*innen geworden. Er versucht alle möglichen Treffen zu arrangieren, muss aber vorsichtig sein, nicht enttarnt zu werden. Seiner Frau Clarita sagt er, dass er jedes Mal, wenn er ins Ausland fährt, seinen Kopf in eine Schlinge lege.
Berlin, Tristanstraße 8, 16. Juli 1944
Am späten Sonntagabend betritt Adam von Trott die Wohnung von Claus Schenk von Stauffenberg. Im Oktober 1943 hatte Stauffenberg seine neue Stelle als Stabschef im Allgemeinen Heeresamt angetreten; er rekrutiert nun ständig Soldaten für die Ostfront. Stauffenberg und Trott freunden sich schnell an. Trott bezeichnet Stauffenberg in diesen Monaten als seinen »nächsten Freund«. Er setzt seine verbleibenden Hoffnungen auf ihn.
Rastenburg, Ostpreußen, 20. Juli 1944, 12:42 Uhr
Im »Führerhauptquartier Wolfschanze« beugt sich Adolf Hitler während einer Lagebesprechung über einen schweren Eichentisch. Um ihn herum stehen mehrere Generäle. Gemeinsam beraten sie das weitere militärische Vorgehen an der Ostfront. Plötzlich erschüttert eine Explosion die Baracke. Durch die Druckwelle wird der Tisch in die Luft gehoben, die Decke stürzt ein. Fast alle der ins Freie wankenden Männer sind verwundet, vier von ihnen tödlich.
Reaktion
des NS Regime
Berlin, 20. Juli 1944, 22.30 Uhr
Regimetreue Offiziere verhaften Stauffenberg und die Mitverschwörer im Bendlerblock.
Berlin, 20. Juli 1944, um Mitternacht
Claus Schenk von Stauffenberg, Werner von Haeften, Albrecht Mertz von Quirnheim und Friedrich Olbricht werden im Hof des Bendlerblocks erschossen.
Berlin, 21. Juli 1944
Eine Sonderkommission der Gestapo nimmt die Ermittlungen auf. In den nächsten Wochen werden einige hundert Personen verhaftet. Etwa 200 Widerstandskämpfer werden ermordet.
Berlin, 25. Juli 1944, 13.30 Uhr
Die Gestapo verhaftet Adam von Trott im Auswärtigen Amt und bringt ihn in das Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße 8. Nach einigen Tagen verlegt man Trott in das KZ Sachsenhausen bei Oranienburg. Er ist völlig isoliert.
Imshausen, 27. Juli 1944
Clarita von Trott erfährt von der Verhaftung und fährt nach Berlin.
Imshausen, 13. August 1944, 7.00 Uhr
Die Kinder Verena und Clarita werden von der Gestapo abgeholt und mit unbekanntem Ziel verschleppt.
Berlin, 15 . August 1944
Clarita von Trott erfährt davon auf dem Weg zum Gericht, wo sie hofft, ihren Mann noch einmal sehen zu können. Kurz darauf wird sie von der Gestapo festgenommen und ins Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit gebracht.
Berlin, 15 . August 1944
Der »Volksgerichtshof« verurteilt Adam von Trott zum Tode durch den Strang. Er wird in das Gefängnis Lehrter Straße 3 gebracht.
Abschiedsbriefe
Berlin 15.08.1944
Dauer: 3:05 Min
Adam v. Trott zu Solz an Frau Clarita v. Trott zu Solz, Imshausen über Bebra, Hessen. Berlin, am 15. August 1944
Meine geliebte Frau, liebes Claritchen, ein freundlicher Beamter hat es mir möglich gemacht, Dir schon heute zu schreiben, obwohl über mein Geschick erst morgen endgültig entschieden sein wird – wie man mich hier überhaupt, bei aller Strenge, ritterlich behandelt hat. – Du wirst gefühlt haben, wie oft und innig meine Gedanken in diesen Wochen bei Dir und den beiden Kleinen gewesen sind – ebenso wie Deine Gedanken und Dein Kum- mer mir immer sehr gegenwärtig gewesen sind. Auch Mutter, die Brüder und Schwestern und die Freunde nah und fern, von denen Du weißt, daß sie mir am Herzen liegen. Auch die Erinnerung an Imshausen, die Täler und Höhen, den Wald und die Felder, durch die wir gemeinsam gestreift sind – an die Rehe, an all die von Menschenhand unberührten Bewegungen, Geräusche und Gerüche der Natur haben mich immer wieder mit Frieden und Freude erfüllt, wie auch Dir und den Kleinen unsere schöne Heimat immer ihren Trost spenden wird. Wenn immer Du allein oder mit ihnen auf unseren Höhen sein wirst, werden wir uns am nächsten sein. Wie hatte ich mich darauf gefreut, ihnen einmal all diese Wunder selbst zeigen, sie mit ihnen nochmals ganz von neuem zu entdecken! Aber dieses unvergängliche Erbe, die Heimat, wird uns – was immer auch sonst noch kommen mag – in unsern Herzen vereinen. – Aber viel mehr als dies alles haben diese letzten Wochen in mir die Gewissheit einer tiefen und klaren Gemeinsamkeit mit Dir gereift und besiegelt – etwas von Dir bis in alle Einzelheiten des Alltags Gewünschtes (von mir im Drängen des Arbeitens und Kämpfens nie voll Erfülltes) und mit so viel Liebe und auch Verzicht Erstrebtes: So wenig ich Dir von meiner Arbeit und meinem Tun mitteilen konnte, vor der Ewigkeit sind wir eins, so tief verbunden, wie Menschen überhaupt verbunden sein können. Und das hat sich nicht so sehr an jenem Junitag in der Backsteinkirche von Reinbek als in diesen ganzen Jahren ereignet, in denen ich mit immer tieferer Beglückung wahrnahm, wie sehr Deine reine und starke Liebe alles übertraf, was ich an menschlicher Nähe, Liebe oder Freundschaft in meinem Leben erfahren hatte. Du hattest recht, wenn du dessen von Anfang an vertrauensvoll gewiss warst – aber es wird Dich freuen, nun auch zu wissen, wie sehr mich das gerade in dieser letzten Zeit stark und froh gemacht hat. Du bist in allen Stunden bei mir gewesen und mit Dir zugleich all das, was unsern Bund besiegelt und gesegnet hat. – Und nachdem ich Dir dies noch einmal sagen durfte, kann ich Dir auch die Frage beantworten, die Du in einem Brief vor einigen Monaten einmal an mich stelltest: So gewiß ich bin, daß nichts in dieser Welt unseren fortbestehenden Bund zerstören oder verwirren kann, so gewiß bin ich doch auch, daß Du Dich in allem, was Du zu tun beschließen magst, ganz und gar frei auf Dein Herz und Dein Gewissen verlassen sollst. Es mag für Dich und die Kleinen einmal besser sein, wenn Du an eine andere, neue Verbindung denkst – später einmal. Du hast meinen vollen, von Herzen kommenden Segen dazu. Ich weiß, daß ich in Euren Herzen immer lebendig bleiben, mit Euch sein darf und auf diesem Wege auch dem, dem Du all das Viele geben könntest, was mir vielleicht versagt sein wird, auch ein Freund des von Dir Auserwählten werden könnte. Aber dies für später einmal, liebe kleine Clarusch. Für heute gäbe es noch so vieles, für das Bogen und Stift und Zeit kaum ausreichen. – Du, vor der wie vor keinem andern Menschen mein Leben, seine Hoffnungen und Antriebe und so manche Unzulänglichkeiten in ihm ausgebreitet liegt, wirst wissen, daß mich am meisten schmerzt, unserm Land die besonderen Kräfte und Erfahrungen, die ich in fast zu einseitiger Konzentration auf seine außenpolitische Behauptung unter den Mächten in mir ausgebildet hatte, nun vielleicht nie mehr dienend zur Verfügung stellen kann. Hier hätte ich wirklich noch helfen und nützen können. Auch meine Gedanken und Vorschläge hierzu hätte ich so gern noch einmal in zusammengefasster Form für andere zur Verfügung gestellt. Aber es wird mir wohl versagt bleiben. Es war alles ein aus der Besinnung und Kraft unserer Heimat, deren tiefe Liebe ich meinem Vater verdanke, aufsteigender Versuch, ihr in allen modernen Wandlungen und Erschwerungen unwandelbar bleibendes Recht und ihren tiefen, unentbehrlichen Beitrag gegen den Übergriff fremder Mächte und Gesinnungen zu erhalten und zu vertreten. Darum bin ich aus der Fremde mit allen ihren Verlockungen und Möglichkeiten immer mit Unruhe und begierig dorthin zurückgeeilt, wo ich mich zu dienen berufen fühlte. Was ich draußen lernte und für Deutschland tun konnte, hätte mir hierbei gewiss sehr geholfen – weil um diese Zeit nur wenigen solche weitverzweigten Möglichkeiten zuteil wurden. So muß ich hoffen, daß auch ohne mich von vielen dieser Verbindungen auch so Verständnis und Hilfe zufließen wird, wenn es einmal wieder nötig und wünschenswert sein sollte. Aber ein Sämann überläßt
nicht gerne knospende Saaten anderen zur weiteren Bearbeitung, denn zwischen Saat und Ernte liegen ja noch so viele Stürme.
Du weißt, welch inniger Bestandteil dieser Sorgen der Kummer um die ungewisse Zukunft ist, der ich Dich und die Kleinen, unsere ganze Familie lassen muß. Ich könnte mir denken, daß Du es für einige Zeit vorziehen magst, mit den Kleinen zu Deinen Eltern oder Beatrice zu ziehen. Es wäre gewiß in mancher Beziehung ratsam. Berate Dich hierüber vor allem auch mit Bärbel und Deinem lieben Vater, an den ich diesen letzten Wochen oft und mit dankbarem Vertrauen gedacht habe. Es werden Dir später gewiß viel Freunde helfen, aber gewiß wird Dir jetzt nicht danach zu Sinne sein, die Familie Dir näher stehen.– Die Berliner Wohnung und die paar Sachen bei Ulla würde ich möglichst bald dorthin räumen, wo es Dir am besten erscheint. – Vielleicht auch nach Imshausen, wenn Du dort bleiben willst. Ein rechter Trost ist mir, daß die alte Emma jetzt bei Dir war: grüß sie auch von mir und sie möchte doch bleiben, solange es geht. Im übrigen wird meine Familie ja alles tun, Dir beizustehen. Grüß auch die beiden Brüder, die ich und die mich ja letzten Endes nur aus Liebe mißverstehen oder verstehen konnten. Grüß auch die liebe Vera, die meinem Herzen immer besonders nahe stand (alle, von denen dudies weißt) und Ulla, wie Monika und Ello, die Herzensguten. Es war mir immer wie ein schlecht verdientes Himmelsgeschenk einer so liebevollen Familie anzugehören, vor allem eine solche Mutter zu haben, die mir wie mein Vater in allen innersten Entscheidungen ein Vorbild sein konnten.
Auch zu einem Brief an Mutter, den ich noch zu schreiben hoffte, komme ich wohl nicht mehr. So gib ihr bitte vor allem von der Liebe und dem Vertrauen, das mich durch mein ganzes Leben getragen und ermutigt hat, soviel Du nur kannst wieder – es wird Dir in vielen das beredteste und lebendigste Zeugnis für alles, was ich Dir vielleicht selbst nicht mehr geben kann, bringen und mein letztes Unrecht an Euch allen ein wenig beheben helfen.
Daß ich in aller Not und Einsamkeit im Grunde fest und freudig bleibe, verdanke ich ja auch Deiner Liebe und allem, worauf sie in mir und ich in ihr, und so wir beide gegründet sind, wie auch unsere geliebten Kleinen, die ich dir getrost anempfehle.
Ich umarme dich von Herzen – auf Wiedersehen. Immer Dein Adam
P.S. Du könntest Alex bitten, die Garage abzubestellen und hinsichtlich der Wohnung not- wendiges zu veranlassen.
Tausend Küsse A.
26.08.1944
Dauer: 0:51 Min
Berlin-Plötzensee, den 26/8 19
Liebste Mutter,
so kommt es gottlob doch noch zu einem kurzen Wort an Dich: Du bist mir immer, auch jetzt sehr nah. Ich halte dankbar und fest an dem was uns je und je verbindet. Gott ist mir in diesen Wochen gnädig gewesen und hat mir frohe, klare Kraft zu allem, fast allem geschenkt – er hat mich auch gelehrt, was und wie ich fehlte. Ich bitte vor allem auch Dich um Vergebung für allen großen Schmerz und daß ich Dir jetzt noch im Alter diese Stütze nehmen mußte.
Sag Werner, daß auch er mir in diesen letzten Wochen besonders nahe wirkte und ich die Schritte bis zu unserer inneren Trennung zurücklenken und, hätten wir uns wiedergesehen, eine tiefe fruchtbare Versöhnung mit ihm gefeiert hätte. Ihm und seinem ritterlichen Schutz, den ich ihn herzlich bitte auch auf ihre innere Eigenart und Freiheit der Lebensweise auszudehnen, anempfehle ich meine geliebte Clarita und die beiden süßen Kleinen, die ich so wenig sah. Steht Ihnen in aller Not bei! Auch Heini bitte ich dies – in Liebe und Dankbarkeit. Dir noch zuletzt einen dankbaren Herzenskuß und auf Wiedersehen Grüß alle, die sich meiner ohne Zorn erinnern können,
Dein Dich sehr liebender Sohn
Adam
Auch den lieben Heini hätte ich jetzt innerlich bestimmt wiedergefunden und mit mehr Eifer und Sorgfalt der vielen unverdienten Liebe, die mir von Euch allen entgegenkam, gewaltet. Grüß auch von Herzen die besonders liebe Vera und die andern Schwestern. Auch Martina und die übrige Familie.
»In Deinen Geist, Herr … Euer
Adam
26.08.1944
Dauer: 1:48 Min
Berlin-Plötzensee, den 26.8. 1944
Liebes Claritchen,
dies ist nun leider wohl das allerletzte. Hoffentlich hast Du meinen letzten längeren Brief noch bekommen. Vor allem: Vergib mir für
all den tiefen Schmerz, den ich Dir verursachen mußte. Sei gewiß: ich bin in Gedanken auch weiter mit Dir und sterbe in tiefer Zuversicht und Glauben. Es ist heute ein klarer »Peking-
Himmel« und die Bäume rauschen. Lehre unsere lieben, süßen Kleinen diese Zeichen und die noch tieferen unseres Gottes dankbar, aber auch tätig und kämpferisch zu verstehen.
Ich liebe Dich sehr. Es bliebe noch so viel zu schreiben – aber es ist keine Zeit mehr. Gott behüte Dich – ich weiß, daß Du Dich nicht unterkriegen lassen und daß Du Dich zu einem Leben durchkämpfen wirst, in dem ich Dir innerlich weiter zur Seite stehe, wenn Du auch anscheinend ganz allein bist. Ich bitte für Deine Kraft – und Du tu es bitte für mich.
Ich habe in den letzten Tagen noch das Purgatorio gelesen, auch Maria Stuart und, was mich seltsam stark berührte, den Jürg Jenatsch. Sonst hatte ich solches wenig – aber sehr vieles in mir, was ich in Ruhe
bewegen und klarlegen konnte. So sei um mich
nicht zu bekümmert – alles ist ja im Grunde klar, wenn auch tief schmerzlich. – Ich wüßte so sehr gern, wie Euch dies alles praktisch getroffen hat. Ob Du nach Reinbek willst oder bleibst. Sie werden wohl alle lieb zu Dir sein, meine geliebte kleine Frau. In meinem andern Brief bat ich um all die vielen Freundesgrüße, die mir am Herzen liegen. Aber Du kennst sie genau und wirst sie ohne mich richtig bestellen. Ich umarme Dich mit ganzer Seele und weiß, daß Du bei mir bist. Gott segne Dich und die Kleinen in unverbrüchlicher Liebe Dein
Adam
Gib Werner und Heini das Vertrauen, das sie
in Liebe und Treue zu mir gewiß verdienen,
werden! Grüße mir Imshausen und seine Berge. Dein Adam.
Berlin, 30. September 1944
Clarita von Trott wird aus der Haft entlassen. Verzweifelt forscht sie nach ihren Kindern.
Imshausen, Anfang Oktober 1944
Die Kinder Verena und Clarita kehren überraschend aus dem NS-Kinderheim in Bad Sachsa nach Hause zurück.
“Information has been received that Dr. Adam Von Trott zu Solz (…) in reality is visiting the United States for the purpose of soliciting the assistance of a few prominent individuals in a plan to overthrow the present regime in Germany.”
Aus einem FBI-Memorandum an Präsident Roosevelt 16. Dezember 1939
“Though I shall listen carefully to the advice you may still send me (…), not to return I have definitely made up my mind that apart from definite indications of presumable liquidation my place during this coming time is at home. You (…) may be right that my capabilities to do a lot there may be limited, but the urgent need for every single individual with any scope and insight seems to me overwhelmingly on the side of inside work (…) We are (…) fighting for the formation of a constitution (…) for the life of Europe as a whole, if our individual countries and what we consider worth preserving in them is to survive.”
An David Astor, New York, 26.12.1939
“Adam von Trott (…) is in contact with the more promi nent of the refugees (…) It is a heroic work in which this noble and idealistic young German is engaged. It may very easily cost him his life and he knows that he is constantly under surveillance, though whether by FBI men or agents of the Gestapo he is uncertain. (…) The problem is not so much the overthrow of Hitler (…), but rather what will succeed him. On this von T. has many thoughtful ideas. And I think he also has the brains and guts to put them through!”
Tagebucheintrag von Felix Morley, Herausgeber der Washington Post, 20. November 1939
“When this letter reaches you I shall be well back in the folds of Eurasia and no mail pigeon will reach me any more. Don’t think of me as depressed or desperate whatever happens; I have the least right to grumble on my own account and as to my surroundings I feel these wider worlds have equipped me with far greater resources of joy, independence and power of resistance than I could have possibly hoped for.”
An Diana Hubback, Hawaii, 18.1.1940
»Daß ich überhaupt in die Heimat zurückkehre, ist natürlich eine Selbstverständlichkeit (…) Nirgends sind die Zustände ideal – aber nirgends ist man so für sie verantwortlich und kann man so die letzten Kräfte wachrufen als in der Heimat. Ich bin mir klar, daß ich in verquälteste und ungesündeste Verhältnisse zurückkehre (…) Und so ist wohl der Einzelne bei uns gezwungen, (…) entweder leichtsinnig die Augen
zu verschließen oder sich in unfruchtbaren Spannungen zu verzehren. Oder – wie ich – in eine völlig fremde Umwelt zu flüchten und dort Besinnung, Härte und Mut zu einer verantwortlichen Rückkehr an den rechten Ort zu sammeln.«
An Werner von Trott, Beijing, Herbst 1938
“I am not, as you might think, going over to some ‘other side’
[…] This last year in China has given me chance to think of things more objectively than I ever could before. I know now that as I am going back to my home country the basis for remaining true to the old fight will be very narrow and precarious indeed – especially if my nearest friends too begin to think that it is an impossible position which they must deny and fight.”An Sheila Grant Duff, Beijing, 10.8.1938
Die Reise nach England betreibt Adam von Trott auf eigene Initiative. Er will den drohenden Krieg verhindern oder zumindest aufschieben und bei der britischen Regierung für deutsche Regimegegner*innen werben. In seinen Gesprächen mit Außenminister Halifax und Premierminister Chamberlain gibt er sich als NS-Gegner zu erkennen. Nach seiner Rückkehr verfasst er einen halbfiktiven Reisebericht in nationalsozialistischem Sprachstil. Mit Verweis auf die britische Kriegsbereitschaft versucht er vergeblich, Hitler von seinem aggressiven Expansionskurs abzubringen.
Nach dem deutschen Überfall auf Polen begibt sich Adam von Trott auf seine zweite USA-Reise, diesmal als Mitarbeiter am Institute of Pacific Relations in New York. Hier wird er ständig vom US-amerikanischen Geheimdienst beschattet. Er trifft sich mit emigrierten NS-Gegnern und versucht, Kontakte zu offiziellen amerikanischen Stellen zu knüpfen. Außerdem arbeitet er an politischen Zukunftsentwürfen für ein dauerhaft friedliches, vereintes Europa.
Hörstationen
Berlin 23.11.1943
Dauer: 0:27 Min
Berlin 03.02.1944
Dauer: 0:12 Min
Berlin 16.03.1944
Dauer: 1:04 Min (Titel der Datei nachtragen)
Berlin 13.07.1944
Dauer: 0:15 Min
Berlin 19.07.1944
Dauer: 0:35 Min
»Wenn wir uns schon mit einer Epoche abfinden müssen,
in der die größere Wahrscheinlichkeit für ein vorzeitiges Ende steht,
so sollten wir doch wenigstens dafür sorgen,
dass es Sinn hat zu sterben – gelebt zu haben.«
— Adam von Trott, 1935