„Adam von Trott war zeitlebens ein großer und zugleich gründlicher Leser. Auskunft über seine Lektüre geben die erhaltenen Reste seiner Bibliothek, seine Korres pondenz sowie verstreute Notizen in seinem Nachlass. Insgesamt lassen sich seine Lektüre und selbst seine Lieblingsbücher nur noch unvollständig ermitteln. Darauf sollte jede Liste oder jede Sammlung hinweisen! Denn auch bei der Auswertung der genannten Quellen ist Vorsicht geboten. Unter den erhaltenen Büchern aus seinem Besitz – vor allem an seinem Stempel erkennbar – findet sich eine ganze Reihe von Geschenken (einige mit Widmungen), die er nicht unbedingt alle gelesen hat (einzelne weisen sogar noch unbeschnittene Seiten auf) und die ihm auch nicht alle zugesagt haben müssen. Dies gilt ebenfalls im Hinblick auf seine brieflichen Reaktionen auf Buchgeschenke, die teilweise von höflich freundlicher Dankbarkeit motiviert waren. Wie von etlichen Zeugen bestätigt, hat sich Trott mit Vorliebe über Literatur ausgetauscht. So ist es nicht erstaunlich, dass seine Briefe dies widerspiegeln. Hier finden sich Mitteilungen über seine derzeitige Lektüre, Bücherwünsche, Bitten (z. B. an seine Mutter), ihm Bücher nachzuschicken, Erwähnungen persönlicher Begegnungen mit Schriftstellern und Schriftstellerinnen sowie – am aussagekräftigsten – Buchempfehlungen und eigene Buchgeschenke. Trott war jedoch ein viel zu spontaner Briefschreiber, als dass solche Mitteilungen in seinen Briefen regelmäßig oder gar systematisch enthalten sind.“
1. Belletristik
Was seine bell tristischen Lieblingsbücher angeht, so gab es bei Trott – wie bei einem jungen Leser nicht anders zu erwarten – bestimmte Phasen, in denen einzelne Dichter und Schriftsteller vorübergehend große Bedeutung für ihn hatten. Für den 18/19jährigen Adam von Trott waren dies zum Beispiel – nicht untypisch für jene Zeit – Hölderlin und Dostojevskij. Im Juni 1934 schrieb er hingegen (an seine Freundin Diana) über Dostojevskij: »I never seem to have been further from his powerful influence«. Anders im Falle Tolstois, der, einmal von ihm entdeckt, bis zum Schluss einer seiner Lieblingsschrift steller blieb.
Kennzeichnend für Trott war es, dass er sich aus eigenem Antrieb eine fundierte Bildung mit der Ausrichtung auf die Welt literatur erwarb. Englische Literatur las er stets in der Originalsprache, französische Literatur nur zu einem kleineren Teil. (Im Balliol College in Oxford wurden auch Französischkenntnisse von ihm erwartet, doch hat er sich später entgegen seinen Plänen nie länger in Frankreich aufhalten können.)
Die Lektüre deutscher Klassiker war für ihn selbstverständlich. Besonders auffallend ist seine umfassende Kenntnis von Goethes Werken, die sich auf alle berühm ten Dramen, »Werthers Leiden«, »Dichtung und Wahrheit«, »Wilhelm Meister«,
»Die Wahlverwandtschaften«, die früheren Gedichte und die »Schriften über die Natur« erstreckte.
Nicht zuletzt aus seiner eigenen Edition geht hervor, dass er ein vorzüglicher Kenner Kleists war. (Menschen, die ihm besonders wichtig waren, führte er zu Kleists Grab am Wannsee – so etwa 1939 seine Freundin Clarita, der er damals zu gleich Kleists Werke schenkte.)
Ein Leseschwerpunkt des jungen Trott war Lyrik, vom 18. Jahrhundert bis zur Gegen wart. Zu den von ihm geschätzten Dicht rn gehörten u. a. Hölderlin, Keats (im engl. Original), Heine, Lenau, Baudelaire, Trakl und T. S. Eliot (im engl. Original).
Eine besondere Vorliebe hatte Trott stets für skurrile, satirische, phantastische, groteskbizarre Literatur. Als seine Lieb lingsschriftsteller zählten hier u. a. Jonathan Swift, Jean Paul, E.T. A. Hoffmann und Franz Kafka.
Romanen wandte er sich verstärkt erst Mitte der 1930er Jahren zu, und zwar vor zugsweise den Werken ausländischer Schriftsteller. Dies waren u. a. Fielding, Sterne, die Schwestern Brontë, Hardy und D. H. Lawrence (alle im engl. Original), Stendhal, Balzac und Flaubert sowie Gogol, Turgenjev und der von ihm besonders geschätzte Tolstoi. Im Hinblick auf Thomas Mann ist zu berücksichtigen, dass Trott erst 23 Jahre alt war, als dessen Werke in Deutschland verboten wurden.
Adam von Trott hat sich keineswegs nur der Literatur vergangener Jahrhunderte zugewandt, sondern auch der zeitgenös sischen – ja, ihm lag daran, Schriftstellern und Schriftstellerinnen persönlich zu begegnen.
Über eine Jugendfreundin wurde er z. B. bei Ernst Jünger eingeführt, was ihn jedoch nicht daran gehindert hat, sich mit dessen Büchern sehr kritisch ausein anderzusetzen.
Karl Kraus hat er zwar nicht persönlich getroffen, aber als Student in Berlin ihn auf zwei Vortragsabenden erlebt, von denen er tief beeindruckt war. Sehr positiv urteilte er über die Schrift stellerin Rebecca West, die er 1935 in Hamburg kennenlernte und sich im Jahr danach in London mit ihr traf. Von seinem Treffen mit Upton Sinclair 1937 in Los Angeles hat sich ein Buchgeschenk des Autors mit Widmung erhalten, während von seiner Begegnung mit Ignazio Silone 1939 in New York überliefert ist, dass dieser großen Eindruck auf ihn machte. Die Werke von Sinclair un Silone waren in Deutsch land verboten.
Selbstverständlich gilt größte Vorsicht, will man Trotts belletristische Lektüre z deuten versuchen. Dennoch seien einige Beobachtungen angeführt. Typisch für Trott war seine Offenheit für die Werke von Dichtern und Schriftstellern verschiedens ter Länder. Einen nordischen Schwerpunkt gab es bei ihm indes nicht. Es dürfte kein Zufall sein, dass die seinerzeit sehr berühmten Romane des Hitleranhängers Knut Hamsun bei ihm keine Erwähnung finden. Zu seiner Einstellung passt die Lektüre zweier sehr ausgesprochener Anti Kriegsbücher ganz unterschiedlichster Art: Tolstois »Krieg und Frieden« ebenso wie Remarques »Im Westen nichts Neues«. Seiner amerikanischen Kusine Margery schenkte er Silones »Brot und Wein« mit der Bemerkung, dieser Roman werde ihr helfen, die Psychologie der Länder unter dem Faschismus besser zu verstehen.
Jüngers »Auf den Marmorklippen« hat er als Parabel der NS-Zeit aufgefasst, wie denn auch Trotts eigener literarischer Versuch »Ein böser Traum« als solche zu verstehen ist.
2. Sachbücher
Trotts immense Lektüre von Sachbüchern steht zu weiten Teilen im Zusammenhang mit seinen verschiedenen Studien. Nach seinem Jurastudium wandte er sich für sei ne Dissertation Hegel und der Interpreta tion seiner Philosophie zu, die er auch nach seiner Promotion für ein geplantes hegel kritisches Vorhaben fortsetzte. Zunächst studierte er jedoch in Oxford Philosophie, Politik und Volkswirtschaft und legte in diesen Fächern ein Examen ab. Später hatte er als Rechtsreferendar ein Referat über die Sowjetwirtschaft zu halten, was ihn zu einer vielseitigen Lektüre über die Sowjetunion veranlasste. Nach seinem jurist. Assessorexamen wandte er sich in den nächsten Jahren einem Studium der chinesischen Staatslehre und Staatspraxis zu, wobei er zum Vergleich teilweise auch Japan einbezog. Flankiert wurden diese Studien von der Befassung mit der chine sischen Philosophie ebenso wie mit den Verhältnissen im China der Gegenwart. Als wäre Trott mit all seinen offiziellen Studien nicht schon genug ausgelastet gewesen, gab es bei ihm daneben noch ein intensives Selbststudium. Dieses galt seit seinem 19. Lebensjahr vornehmlich der Philosophie, der Staatstheorie, der politi schen und ökonomischen Theorie, der Geschichte und der Politik. Auch der Lite ratur wandte er sich für seine KleistEdition oder für Rezensionen gezielt zu.
Angesichts dieser Fülle seiner Lektüre von Fachliteratur ist eine Auswahl daraus nicht gerade einfach. Dennoch empfiehlt es sich, einige Bücher – vor allem auf den Gebieten der Philosophie und politischer Theorie – auszustellen. Bei Sachbüchern kann man zwar nicht von »Lieblingsbüchern« sprechen, diese Werke hatten aber zumin dest zeitweise eine besondere Bedeutung für ihn und sagen Spezifisches über ihn aus.
Dr. Benigna von Krusenstjern